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J. A. Tillmann: Laudatio auf Hannes Böhringer

2010. február 7.

Als ich davon erfuhr, dass dieses Jahr Du, lieber Hannes, den Moholy-Nagy-Preis bekommen sollst, begann ich nachzudenken, welche Parallele, Ähnlichkeiten, eventuell Übereinstimmungen zwischen dem Namensgeber und dem Preisgekrönten bestehen. Das es welche gibt, ist gar nicht so sehr selbstverständlich, zumal es sich hier um einen Künstler und um einen Philosophen handelt; selbst in dem Fall nicht, wenn der Erstere mit noch so vielen Medien der Gestaltung, angefangen von der Grafik über den Film bis hin zum Designe, arbeitete, während er auch im Bereich des reflexiven Denkens und Schreibens ein nicht gerade unbedeutendes Œuvre hinterließ, und wenn der Letztere im Bereich der Kunst zu Hause ist, man könnte sogar sagen, er wohnt – durch seine Frau Eva-Maria Schön – unter einem Dach mit der Kunst, und noch dazu stellt sie den thematischen Schwerpunkt im Großteil seiner Schriften dar. Außerdem weiß er aus Erfahrung, an unseren Universitäten stehen „Kunst, Designe und Philosophie in einer Konstellation zueinander, in der sie einander durch Anziehung und Abstoßung, durch Herausforderung, Versuchung und Ansporn – durch die fruchtbare Spannung dieser Beziehungen – gegenseitig verpflichtet sind.

Obwohl zwischen der theoretischen Arbeit von Moholy-Nagy und den kunstphilosophischen Schriften des Preisgekrönten viele Parallele zu entdecken sind, in vielen Fällen berühren sie sich sogar, ist die wesentliche Ähnlichkeit nicht in diesem Bereich zu finden, sonder in der grundsätzlichen Einstellung der beiden: beide sind fähig ihren Gesichtspunkt zu verrücken und ihre Perspektive zu wechseln und das praktizieren sie auch. Über Moholy-Nagy kann– mit einem Hinweis auf den Titel seines Hauptwerkes – nicht nur gesagt werden, dass (sein) Sehen in der Bewegung war, sondern auch, dass für seine Person selbst eine ununterbrochene Bewegung charakteristisch war, eine Bewegung zwischen den unterschiedlichsten Bereichen der Kunst und der Wissenschaft sowie zwischen den abwechselnden kulturellen Zentren, Budapest, Wien, Berlin und Chicago.

Nichts zeigt die Bewegung in den Ansichten von Hannes Böhringer besser, als die Tatsache, dass auf dem Titelblatt einer seiner auch auf Ungarisch erschienenen Bücher der Untertitel Von der Philosophie zur Kunst zu lesen ist während der Untertitel zu einem anderen lautet: Von der Kunst zur Philosophie.

Die Notwendigkeit den Gesichtspunkt, den Ort und die Ansichten zu wechseln, ist nicht ausschließlich seine persönliche oder spezifisch berufliche Eigenart, sondern eine Aufgabe, die sich für uns alle ergibt. Mit dem Unterschied, dass das in der Kunst und in der Philosophie konzentrierter, beziehungsweise reflektierter erscheint. Dieser Gedanke basiert auf der Erkenntnis, die Lajos Szabó – der Meister unseres Freundes seligen Andenkens, Attila Kotányi – folgenderweise formulierte: „die Wirklichkeit ist in Perspektiven gegeben. Das heißt, es gibt keinen einzigen ausgezeichneten Gesichtspunkt, es gibt weder eine bestimmte geistige Position, noch eine Lebenssituation, von der aus wir, wie etwa aus einem Aussichtturm, einen Überblick auf die Realität hätten und uns ein für allemal gültige Kenntnisse oder Erfahrungen erwerben könnten. Nur die Mannigfaltigkeit der Gesichtspunkte und die Reihe der Perspektiven bieten uns die Möglichkeit, die Komplexität und den Reichtum der Welt kennenzulernen. Der Prozess des Kennenlernens erfolgt durch Verrückung, Wechsel des Gesichtspunktes und Unterwegs-Sein. Diese Tätigkeit erfordert, dass man seine Position aktiv gestaltet; sie kann nicht das bloße Sich-Treiben-Lassen, das Sich-Verankern in der Scheinbeständigkeit sein. Allerdings sind wir stark dazu geneigt, dass wir uns über den Anblick vergessen, und in der Perspektive, wie auch in der Aussichtslosigkeit, die wir im Angesicht unserer Situation fühlen, festgeklebt bleiben. Der Vorschlag der antiken Philosophie für diesen Fall ist das Umdrehen, die Umwendung. Dazu bieten deine Werke zahlreiche Beispiele, an dieser Stelle möchte ich eine Passage zitieren. Du schreibst: Philosophieren bedeutet Reisevorbereitungen treffen, seine Sachen in Ordnung bringen, Koffer packen und umpacken, bis er handlich und tragbar wird. Philosophieren ist die Kunst, reisefertig zu Hause bleiben zu können.

Der Antrieb, aufzubrechen, aus dem sicheren Hafen auszubrechen, stellt sich stets ein, ob als „Aufforderung zur Reise“ allgemein, oder als der Wunsch die Gewohnheit oder eben die Provinzialität loszuwerden. Die Philosophie macht die Welt (auch ohne wegfahren zu müssen) geräumig. Sie ist Raumgewinn. (Safranski)

All das bedarf nicht zuletzt auch einer passenden Stimmung, eines entsprechenden Tons. So etwas, wie das deinen Schriften, die ihre Leser umstimmen und aufheitern können, eigen ist. Dabei spielt die Sprache, die Qualität des Stils eine wichtige Rolle. Über sie kann auch gesagt werden, was über Henry David Thoreau ein würdigender Kritiker feststellte: „Seine Sätze sind durch die Tugenden durchdrungen, die seiner Meinung nach die erforderlichen Bestandteile des Lebens eines echten Philosophen sind: Schlichtheit, Souveränität und Großzügigkeit. (János Salamon)

19.11. 2009.